Du sitzt am Steuer deines Autos, hast soeben einen anderen beim Überholen unabsichtlich geschnitten und der- oder diejenige wiederum scheint nicht böse zu sein. Beim nächsten Blickkontakt sieht er/sie vielleicht sogar noch ganz beiläufig zu dir rüber und wirkt nur etwas abwesend. Kein böser Blick, Fingerzeig oder versuchte Retourkutsche. Kennst du noch solch entspannte Autofahrer?
Wenn diese Leute nicht auf Drogen sind, haben sie wahrscheinlich eben zuvor gesungen. Etwas Ruhiges und Schönes wohl in diesem Fall. 🙂 Das wäre eine mögliche, aber nicht vollständig ernst gemeinte These von mir. Dennoch, wenn ich alle Schüler/Klienten und Seminarteilnehmer zusammen zähle, welche mir schon erzählt haben, dass sie gerne im Auto singen, dann bekomme ich das Gefühl, dass das ohnehin so gut wie jeder des öfteren macht. Die meisten entspannt das sehr oder beflügelt sie eben auch.
Da höre ich dann immer wieder: „Im Auto bin ich mit mir alleine; da hört mich niemand.“ Oder: “Wenn ein Song im Radio mich so ergreift trällere ich gerne mit.“ Aber eher ersteres.
Das ist auch die positive Seite daran wie Musik und vor allem selber Singen auf uns wirkt. Alles wissenschaftlich erwiesen und auch mit dem eigenen Hausverstand nachvollziehbar. Das mit dem: „Da hört mich keiner, bedeutet übersetzt soviel wie: nur da kann ich aus mir rausgehen weil es wurscht ist wie es klingt. Aber dazu später. Also warum sollten wir es dennoch lassen unseren Gefühlen stimmlich am Steuer unseres Autos Ausdruck zu verleihen?
Hier meine Gründe warum du es nun besser lassen solltest und wann du meines Erachtens eine Ausnahme machen kannst
Nachdem ich die Kontroverse mit unterschiedlichen Meinungen dazu, selbst unter meinen Stimmtherapeuten – KollegInnen vernommen habe, wollte ich es selbst einmal ausprobieren. Eine Strecke auf der Autobahn mit wenig Verkehr an diesem Tag, während ich „Amazing Grace“ zum Besten gebe. Ohne Radio, weil da finde ich selten etwas Passendes für mich. Meine Wahrnehmungen und Überlegungen dazu will ich dir nicht vorenthalten.
Denn ich stelle eindeutig fest, dass meine Reaktionsfähigkeit während des Fahrens herabgesetzt ist, während ich im Singen aufgehe.
Wenn du gefühlsmäßig mit dir verbunden bist, und das solltest du sein beim Singen, ist ein Teil deiner Aufmerksamkeit dafür abgezogen. Jedenfalls um ein Vielfaches mehr als wenn wir uns mit jemanden normal unterhalten. Für ein Streitgespräch gilt wohl Ähnliches wie für das Singen. Überall wo Emotionen beteiligt sind, bist du nicht zu 100% bei einer Sache sondern deine Energie ist über verschiedene Wahrnehmungskanäle verteilt.
Wir wähnen uns zwar multitaskingfähig, weil das im Alltag auch oft genug verlangt wird, allerdings funktioniert diese Fähigkeit nicht unbedingt bei Notfällen. Dort wo es in erster Linie auf deine Reaktionsfähigkeit ankommt, bist du mit voller Aufmerksamkeit für eine Tätigkeit klar im Vorteil.
Nebenbei hier auch wieder in Erinnerung gerufen wie uns Texten am Handy oder Kaffeetrinken während dem Autofahren ablenken. Das US-Magazin GOOD hat ein Video aus der Perspektive des Fahrers gedreht
Ich gehe davon aus, dass das mit dem Singen, im Vergleich dazu nicht ganz so schlimm ist, aber eben dennoch für mich spürbar.
Wenn du jetzt meinst, bei dir sei das anders und du hast das Lenkrad im Griff während du gesanglich dein Bestes gibst, hier noch ein Argument. Dieses gilt vor allem für dich, wenn dir etwas daran liegt etwas für deine Stimmentwicklung zu tun.
Es macht einen Unterschied ob du nur mal stimmlich Dampf ablassen möchtest und das Alleinsein im Auto hierfür genießt, oder ob du ganz bewusst etwas für deine Stimme tun möchtest. Denn beim Singen sind physiologische Abläufe deines ganzen Körpers beteiligt. Deine Atemräume werden gedehnt und deine innere Muskulatur will in Verbindung mit Atmung und Stimme neu geordnet werden. Eine mitunter muskuläre Herausforderung und ganz schön anstrengend. Bei meinem Experiment nehme ich wahr, wie ich im Sessel hänge, während ich im Normalfall beim Singen eine aufrechte Körperhaltung einnehme. Dieses Drinnenhängen, sowie eine falsche muskuläre Anstrengung beim Singen kann unter Umständen körperlichen Verspannungen Vorschub leisten. Das wiederum kann in Folge Druck auf deinen Kehlkopf ausüben. Heiserkeit leider vorprogrammiert. Alles nicht so förderlich für eine klare, gesunde Stimmentwicklung.
Grundsätzlich ist zu sagen, entweder du besinnst dich während des Autofahrens nur halbherzig auf deine Stimme, dann wird sie bei längerem Singen wahrscheinlich darunter leiden. Oder du bist ganz bei dir und deinen Emotionen, dann bist du mit ziemlicher Sicherheit im Straßenverkehr gefährlich unterwegs.
Was sind nun die Ausnahmen und möglichen Alternativen?
Ich meine, wenn du im Stau stehst und dein Gas- und Bremspedal im Griff hast, kannst du es ruhig wagen einen oder zwei Songs zu singen ohne dass es dir schaden wird. Im Gegenteil; wenn es dir Freude bereitet ist es eine Möglichkeit, dich daran zu erinnern wie gut es tut, die Singstimme auch abseits deines Gefährts wieder einmal zum Einsatz zu bringen.
Bedenke aber auch, dass das Auto deinen Stimmklang nicht unbedingt unterstützt so wie es dein Badezimmer für dich tun würde. Denn während die Fliesen im Bad einen natürlichen Hall erzeugen und dich automatisch dabei entlasten einen klangvollen und raumfüllenden Ton zu erzeugen, hält dein Auto nur dämpfende Klangunterstützung für dich bereit. Was dich beim Singen mit Radio weniger stören wird, jedoch ohne Begleitung aus dem Äther kann es hart sein.
Ich will alleine sein beim Singen
Natürlich verstehe ich das Argument, dass man es nicht mag, wenn man beim Singen von jemanden belauscht wird. Danach kann man sich womöglich auch noch negative Rückmeldungen anhören. Vielleicht hilft es dir, einmal bewusst zu vergegenwärtigen, dass jene, die solche Bemerkungen abgeben, es meistens selber nicht besser können. Sie werden nur durch dein „einfach mal Singen“ selbst daran erinnert und projizieren mitunter ihre Gedanken dann auf dich. Muss gar nicht böse gemeint sein, aber dennoch nicht besonders förderlich. Immerhin offenbarst du über deine Stimme etwas ganz Persönliches. Damit kann nicht jeder umgehen.
Aber was kümmert es dich schließlich wenn du Spaß daran hast? Du selbst kannst nur etwas verbessern was du immer wieder trainierst. Probiere ab heute auch einmal abseits von deinem Auto zu singen. Denke mal ans Bad!
Wenn es dir dann langsam egal ist, was andere dazu meinen oder sie bemerken, dass ihre Zurufe oder Blicke durch dich hindurchgehen; dich jedenfalls nicht abhalten davon, dann hast du einen großen Schritt in Richtung Selbstachtung gemacht. Ich gehe davon aus, dass dies auch an deiner Klangqualiät hörbar sein wird.
Wenn du dafür noch etwas Unterstützung brauchst, melde dich gerne bei mir zum Einzelcoaching. Mir macht es Freude dich dabei zu begleiten.